Litauen – die unterschätzte Perle des Baltikums

Estland, Lettland, Litauen – so sind die meisten Baltikum-Reisen aufgebaut. Um ein erstes Gefühl für die Schönheit dieser Ländergruppe zu bekommen, sind solche Reisen genau richtig. Doch lohnt es sich, mehr als zwei Tage in Litauen zu verbringen? Absolut! Lies weiter und ich gebe dir ein paar spannende Einblicke in dieses einzigartige Land!

Kultur – die Sache mit der Sprache

Irgendwie ist Litauen… anders. Natürlich spürt man hier einen Hauch von postsowjetischen Einflüssen und einige Traditionen erinnern stark an die slawischen, aber nichtsdestotrotz hat Litauen eine sehr eigene, unverkennbare Seele. Am meisten ist mir das in der litauischen Sprache aufgefallen: man versteht kein einziges Wort. Ok, vielleicht außer Jogurtas, was Joghurt bedeutet, aber das wärs dann auch.

Als ich das erste Mal in Litauen war, habe ich mich darauf eingestellt, dass ich schon irgendwie klarkommen würde. Schließlich kenne ich ein paar germanische und slawische Sprachen und auch romanische kann man sich ja dank Latein herleiten (zumindest so weit, dass man nicht KOMPLETT aufgeschmissen ist). Aber Litauisch? Fehlanzeige. Litauisch ist eine indogermanische Sprache und weist große Ähnlichkeiten (und fallt jetzt bloß nicht vom Hocker) zum Sanskrit auf (Sanskrit ist eine antike indische Sprache, was irgendwie so gar nicht in die Baltikum-Region passt). Viele sprachliche Formen der Sprache haben die Struktur einer Ursprache besonders gut bewahrt. Die einzige noch lebende indogermanische Sprache neben Litauisch ist Lettisch.

Manchmal muss man nur hoch schauen – Vilnius ist voller Überraschungen

Was diesen Fakt noch interessanter macht, ist die Zahl der in Litauen lebenden Menschen. In ganz Litauen leben nur rund 2,8 Mio. Menschen. Das sind weniger Menschen als in Berlin! Stellt euch vor, dass plötzlich alle Berliner eine Sprache sprechen würden, die kaum jemand anderes versteht. Ganz schön verrückt, oder?

Litauen – das Land in dem man Brot trinken kann

Auch kulinarisch hat Litauen echt etwas drauf – viele deftige Speisen mit Kartoffeln, Fleisch und besonders guter Käse – das erfreut nicht nur das deutsche Herz! Aber auch für Vegetarier und Veganer ist gesorgt – besonders in Vilnius gibt es viele trendige Restaurants und Bars, die sich den Wünschen der Vegetarier und Veganer anpassen! Meine zwei Favoriten aus Litauen sind sehr einfach, aber ich kann nicht genug davon bekommen – Kepta Duona und Kvass. Beide bestehen zum Großteil aus litauischem Schwarzbrot aber Achtung: eins davon ist ein Getränk.

The future is vegan – das Rosehip Bistro in Vilnius bietet tolle Optionen für Pflanzenesser 🙂

Kepta Duona ist in Pommesgröße geschnittenes Schwarzbrot, dass mit reichlich Öl/Butter und Knoblauch, saisonal auch Bärlauch angebraten und gesalzen wird. Das Brot wird oft als Vorspeise oder Beilage serviert, manchmal auch mit einem leckeren Dip. Die knusprigen Brotpommes sind jedes Mal das erste, was ich bestelle, wenn ich in Litauen bin! Man kann sie dort übrigens auch in Chips-Form im Supermarkt kaufen. Natürlich habe ich mich dementsprechend eingedeckt!

Kvass ist die nächste Spezialität, die ich liebe. Sieht aus wie Cola, schmeckt wie Cola (nur viel weniger süß) und wird aus fermentiertem Brot hergestellt. Klingt nicht lecker, ich weiß. Ist es aber, glaubt es mir! Oder fahrt einfach selbst hin und testet es aus 😊

Kepta Duona mit Knoblauch, Bärlauch und Quark. Und Kvass!

Litauen und seine turbulente Geschichte

Das erste Mal wird Litauen von westlichen Quellen im Jahr 1009 erwähnt. Im Jahr 1253 hatte Litauen seinen ersten und einzigen König – Mindaugas. Im 14. Jahrhundert wurde Litauen zu einer osteuropäischen Großmacht: ganz Weißrussland, Teile der Ukraine und Westrusslands standen unter litauischer Herrschaft.

Im Jahr 1569 vereinigten sich Polen und Litauen zu einem Großstaat. Grund dafür war Litauens Krieg mit Russland. Die Union verhalf Polen zu großer politischer Macht, doch auch diese hatte schon bald ein Ende – 1795 verschwand Polen-Litauen nach vielen Teilungen von der Landkarte, Litauen wurde von Russland eingenommen.

1917 endete die Herrschaft der Zaren in Russland – Litauens große Chance auf Unabhängigkeit. Die Rote Armee wurde geschlagen und Litauen wurde zur unabhängigen Republik….

… diese sollte aber nur bis 1940 anhalten. Sowjetische Truppen marschierten in Litauen ein. Also war Litauen ab jetzt wieder unter russischer Besatzung? Nicht direkt…

1941 wurde Litauen von deutschen Truppen besetzt. In den nächsten Jahren wurde fast die gesamte jüdische Bevölkerung ermordet. Also blieb Litauen ab diesem Moment deutsch? Wenn es nur so einfach wäre…

1944 gewann die Sowjetunion wieder die Oberhand, die Litauische Sozialistische Sowjetrepublik wurde erneut gegründet. Was damit einherging, ist bekannt: Straflager, brutal unterdrückte Aufstände, Kollektivierung der Landwirtschaft, die Bauern in Not und Armut stürzte. Erst 1990 kam erneut Hoffnung auf…

… aber erst zehn Jahre später wurde Litauen endlich unabhängig und demokratisch.

Die Geschichte lebt in Vilnius! Trakai, Litauen

Warum war dieses kleine Land so blutig umkämpft? Nun, das liegt nicht etwa an Litauens traumhaften Wäldern, leckerem Essen oder faszinierender Kultur, sondern vor allem an Memel (heute Klaipeda), einem wichtigen Hafen, der einen hervorragenden Zugang zur Ostsee bietet. Auch dort war ich zu Besuch, aber davon erzähle ich euch ein anderes Mal. Jetzt geht es erstmal in die Hauptstadt. Das ist nämlich…

Vilnius – die Stadt der Kirchen und Künstler

Nicht umsonst wird Vilnius „die Stadt der 1000 Kirchen“ genannt. Allein im Stadtzentrum stehen rund 50 Kirchen dicht an dicht: jede traumhaft schön, egal ob gotisch oder barock, katholisch oder russisch orthodox. Für jeden Geschmack ist etwas dabei.

Du magst es minimalistisch? Dann geh zum Heiligtum der Barmherzigkeit.

Prunkvoll und doch gemütlich? Das Tor der Morgenröte wartet auf dich.

Zierlich und gotisch? Die St. Anna Kirche wird dir sicher gefallen, Napoleon war jedenfalls begeistert von ihr und wollte sie am liebsten mit nach Frankreich nehmen.

Märchenhaft und wie aus Wolken gebaut? Besuch die Kirche von Peter und Paul!

Skurril und spannend? Die Russisch-Orthodoxe Kirche der drei Märtyrer ist definitiv einen Besuch wert. Tipp: schau auf jeden Fall in den großen Glassarg, der in der Mitte der Kirche steht!

Das sind nur ein paar Kirchen, die mir besonders im Gedächtnis geblieben sind. Fest steht: die Kirchen von Vilnius sind einzigartig!

Ein Klavier im Fluss, skurrile Straßenschilder und eine Stein-Waschmaschine? Das ist Alltag in Užupis

Neben den Kirchen hat die Stadt aber noch viel mehr zu bieten: Das Künstlerviertel Užupis, dass selbst als unabhängige Republik bezeichnet und sogar eine eigene Verfassung hat, muss man einfach gesehen haben. Es steckt voller Überraschungen: mach dich auf jeden Fall auf zu einer Entdeckungsreise. Nicht einmal die Straßenschilder hier sind normal und genau das macht diesen Ort so sehenswert.

Hier ein paar Auszüge aus der Verfassung von Užupis:

  • Jeder Mensch hat das Recht zu sterben, aber das ist keine Pflicht.
  • Jeder Mensch hat das Recht, Fehler zu machen.
  • Manchmal hat jeder Mensch das Recht, seine Pflichten nicht zu kennen.
  • Jeder Mensch hat das Recht, einzigartig zu sein.
  • Jeder Mensch hat das Recht, gewöhnlich und unbekannt zu sein.
  • Jeder Mensch hat das Recht, eine Katze zu lieben und für sie zu sorgen.
  • Eine Katze ist nicht verpflichtet, ihren Besitzer zu lieben, aber muss in Notzeiten helfen.
  • Lass dich nicht unterkriegen!
  • Schlag nicht zurück!
  • Gib nicht auf!

Schaufensterbummeln ist im jüdischen Viertel eine Freude! Schon allein wegen der traumhaften Fassaden!

Auch das malerische jüdische Viertel solltest du gesehen haben! Die pittoresken Gässchen, die mit Blumen geschmückten Häuser, die je nach Jahreszeit geänderten Straßendekorationen und die vielen kleinen Läden sehen einfach fantastisch aus! Viele Guides bieten Touren in dem Viertel an, denn es hat eine spannende und verworrene Geschichte.

Auch du kannst Litauen erkunden, vielleicht in Verbindung mit Finnland? Oder vielleicht doch erstmal eine Baltikum-Rundreise, um neben Litauen auch Estland und Lettland kennenzulernen?

Fest steht: dieses Land gehört ganz sicher auf jede Bucketlist. Worauf wartest du also noch?

Eure Nell