Wandern auf Teneriffa

Vom höchsten Gipfel Spaniens hinab in großartige Schluchten und durch knorrigen Märchenwald. Teneriffa überrascht den Wanderer mit viel Abwechslung. Wandern auf Teneriffa.

Der magische Ausblick

Lässig steigt Dragan auf einen der Vulkansteinbrocken kurz unterhalb des Teide-Gipfels und lehnt sich auf seinen Wanderstock. Aus den Felsnischen links und rechts zischt es. Schwefelschwaden wehen dem 45 jährigen Tinerfeño und seinen Freunden entgegen. Über ihren Köpfen hängen Wolken. Es weht ein eisiger
Wind. Dragan schnürt die Kapuze enger um das Gesicht. Er blickt hinunter auf die weite Landschaft voller Lavaformationen, die in den schönsten Brauntönen in der Sonne funkeln. Er betrachtet die kleinen Menschenpunkte, die in T-Shirts davorstehen oder in den Gondeln der Seilbahn hocken. Hier ermuntert dann lächelnd seine Wanderfreunde: »Kommt, nur noch ein paar Meter, dann sind wir am höchsten Punkt Spaniens angelangt. Schließlich will ich die Genehmigung für die Besteigung nicht umsonst beantragt haben.«

Der tanzende Vulkan

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Der Pico del Teide ist mit 3718 Metern die höchste Erhebung Teneriffas, der Kanaren, ja sogar ganz Spaniens, und das Highlight des gleichnamigen Nationalparks. Von den Nordküstenstädten La Orotava, wo prunkvolle Adelspalästeneben der schönsten Barockkirche der Insel schlummern. Oder Puerto de la Cruz, dem touristischen Zentrum, ist der Teide schnell erreicht. Im Frühjahr blühen an seinem Fuße Tausende weißer Teideginster. Daneben recken sich rote Natternköpfe kerzengleich empor und verwandeln die Mondlandschaft innerhalb des gewaltigen ehemaligen Vulkankessels Las Cañadas in ein buntes Blumenmeer. »Schon vor Millionen Jahren gab es hier vulkanische Aktivität. Viele der Formen, die wir heute sehen, wurden durch Erdrutsche freigelegt. Der Teide hat sich später einfach dazwischen gebohrt«, weiß Dragan und ergänzt: »Ich lebe nun schon seit acht Jahren auf Teneriffa, aber die grandiose Mondlandschaft begeistert mich immer wieder aufs Neue.«

Die Entwicklung des Erbes

Mehr als 20 Wanderrouten durchkreuzen das UNESCO-Weltnaturerbe auf 2000 Metern Höhe, manche von ihnen ehemalige Viehpfade. Sie verbinden die schönsten Aussichtspunkte miteinander: die senkrechten Abhänge des Guajara, des höchsten Aussichtsbergs am einstigen Kraterrand, mit den Roques de Garcia, den auffälligen Felsnadeln, die sich als Reste ursprünglicher Vulkanschlote senkrecht in den Himmel bohren und ihren Namen dem letzten ansässigen Ziegenhirten verdanken. Früher wurde hier Schwefel zur Herstellung von Schießpulver abgebaut, heute sonnen sich blau kehlige Eidechsen und zwitschernde Inselpieper auf dem dunklen Stein. Eine atemberaubend karge Gegend, die schon als Kulisse bekannter Kinofilme wie »Kampf der Titanen« diente. Auch das gewaltige Teno-Massiv ist den Filmemachern nicht verborgen geblieben.

Wandern durch die Masca-Schlucht

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In dem über zehn Millionen Jahre alten Vulkangebirge im Nordwesten der Insel reihen sich gigantische grüne Schluchten parallel nebeneinander. Bis ihre Wände schließlich senkrecht in den Atlantik stürzen – ein atemberaubender Anblick. Dafür schickten die Titanen-Regisseure ihre Hauptdarsteller Liam Neeson und Ralph Fiennes zu den mächtigen Ausläufern und legten die Filmstadt Argos kurzerhand an die Mündung der Masca-Schlucht. Für Wanderer ist sie der Ausgangspunkt einer Tour durch den engen Canyon, an dessen Ende das gleichnamige Dorf spektakulär an den Berghängen klebt. Bis Anfang der 1960er-Jahre war das Bergdorf mit den endemischen Dattelpalmen nur über eine Sandpiste oder durch die Schlucht zu erreichen.

Inzwischen bringt eine schmale Straße täglich Dutzende von Tagestouristen nach Masca. Doch wer wandern geht oder abends kommt, kann die Stille noch allein genießen. Dann sitzt man auf verwunschenen Terrassen, schlürft einen frisch gepressten Orange-Papaya-Banane-Saft in José Riquelmes Restaurant und genießt den Blick auf den Sonnenuntergang über einer der steilsten Schluchten Teneriffas.

Grande Gala – unbekannt und unberührt

Wer das Gebirge ursprünglich, abseits jeglicher Zivilisation, erleben will, muss sich weiter vorwagen, zum Beispiel auf den 1316 Meter hohen Kleinen Gala. Dort bestaunt man das bizarre Waldbild abgestorbener Baumheide auf der Kammlinie Cumbre de Bolico – ein Mahnmal an den großen Brand im Jahr 2007 – und träumt von den Guanchen, den Ureinwohnern Teneriffas. »Als sie hier Lava abbauten, schnitten sie manchem Vulkan Tortenstücke heraus. Der scharfe Stein war beliebt, eignete er sich doch hervorragend als Werkzeug«, erzählt Wanderführerin Françoise einem Urlauberpaar und zeigt dann hinunter auf den abgebrochenen Berg und einen Hangweg, gespickt mit Hunderten von Agavenblüten.

Schon die Anfahrt vom entspannten Küstenort Garachico war den beiden Wanderern ein Erlebnis. Wie eine Schlange windet sich die TF-82 den Berg hinauf. Gelber Ginster blüht auf den Flanken steiler Abhänge, Baumheide und Lorbeerbäume säumen die Straße. Nun stehen die drei am Mirador Cruz de Hilda und bewundern die Szenerie von oben. »Später zeige ich euch das dritte große Wandergebiet. Das Anaga-Gebirge ist die unbekannteste Region der Insel«, Françoise schaut in die leuchtenden Augen ihrer Gäste, für die das Wandern auf Teneriffa ein Erlebnis der Superlative ist.

Das Anaga-Gebirge at its best!

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Tatsächlich ist das Anaga-Gebirge der grünste Flecken. Wie in einem Märchenwald quetschen sich Baumwurzeln, knorrig und dick, durch die Felskanten, Moose und Farne kleben an feuchten Steinvorsprüngen. Darüber das Blätterdach eines gigantischen Lorbeerwaldes. Alte königliche Handelswege führen als Trampelpfade durch diese Hobbit-Landschaft, vorbei an ehemaligen Höhlenwohnungen der Guanchen. Mancher Bauer wohnt noch heute darin – mit Wasser und Strom versteht sich. Überall haben die Campesinos um ihre Bergdörfer atemberaubende Terrassenfelder für Runzelkartoffeln angelegt, eine mühselige Arbeit, denn geerntet wird per Hand. Das alles macht wandern auf Teneriffa zu einem so besonderem Ereignis.

Dafür gibt es die Bewässerung umsonst. Pünktlich um halb elf Uhr morgens streift sich der Laurisilva-Wald Monte de las Mercedes einen Wolkenumhang über. Dann kondensiert die Feuchtigkeit des Nebels auf den Blättern, tropft den Rest des Tages herab und sorgt so für den grünen Boden. Kaum vorstellbar, dass an dieses fruchtbare Gebiet der schönste Strand Teneriffas grenzt. Goldgelber Saharasand, grüne Palmen und türkisfarbenes Meer entführen einen an der Playa de las Teresitas in eine tropische Welt.

»Das ist doch was«

Während Françoise dort mit ihren Urlaubern die Füße im Meer baumeln lässt, sinniert Dragan noch am Teide. »Teneriffa ist ein Wanderparadies und nach Hawaii die zweithöchste Vulkaninsel. Das ist doch was«, sagt der Tinerfeño stolz und lauscht dem knirschenden Geröll unter seinen Trekkingschuhen.

Jetzt wandern auf Teneriffa!

Te veo pronto!

Euer Dennis