In der Sprache der Tehuelche-Indianer heißt der 3375 m hohe Fitz Roy in den patagonischen Anden „Chaltén“, der Rauchende. Diesen Namen verdiente sich der turmförmige Granitberg durch die vielen Wolken, die seinen Gipfel meist umschlingen. Doch wir haben Glück und der Fitz Roy zeigt sich an einem Morgen von seiner besten Seite.
Eine schneeweiße Wolke vor ozeanblauem Himmel ist das perfekte Bühnenbild für den Fitz Roy, dessen markante Form majestätisch emporragt. Wie eine Diva zieht dieser Berg alle Blicke auf sich.
Eine Wanderung entlang des Flusses des Rio Blanco führt uns durch den Lenga und Ñirre Wald, der uns vor dem berüchtigten patagonischen Wind schützt. Überhaupt, den Wind in Patagonien hatte ich vollkommen unterschätzt. Als gebürtige Norddeutsche kenne ich Wind und „Schietwetter“ nur zu gut. Doch der Wind in Patagonien verdient eine eigene Kategorie: Wind – starker Wind – Sturm – Patagonischer Wind.
Der Wald gibt immer wieder Blicke auf den blau schimmernden Gletscher Piedra Blanca frei. Ewiges Eis am Fuße des Fitz Roy Massivs.
Wandern, oder Neudeutsch, Trekking, ist neben der körperlichen Anstrengung auch immer wieder eine mentale Herausforderung für mich. Claudio, unser Reiseleiter, stimmte uns bereits am Vorabend ein: der Weg zur Laguna de los Tres sei kein Zuckerschlecken. Die Fakten: auf einem steilen 1,5 km langen Weg steigt man über grobe Felstreppen 400 Höhenmeter hinauf. Den patagonischen Wind hinzugenommen ist dies sicher kein Spaziergang. Das löst in mir widersprüchliche Gefühle aus: Neugierde, sportlichen Ehrgeiz, aber auch Ehrfurcht vor der Natur und Zweifel an meiner physischen Stärke.
Das Wetter, auch dies ist typisch Patagonien, hat sich binnen weniger Stunden gewandelt. Tiefe Wolken hängen nun in den Gipfeln, der Westwind bläst eisig. Stufe um Stufe nähere ich mich dem Gletschersee, sobald eine Böe droht mich wegzuwehen, hocke ich mich nah an die Felswand.
Die Szenerie auf den letzten Höhenmetern raubt mir die Worte und ich muss gestehen: flößt mir Respekt ein. Über zwei Schneefelder erreichen wir die Moräne, den Wind begleiten nun Schneeflocken und Hagelkörner. Der Gletschersee liegt gefroren am Fuße des Gebirges und versteckt sich unter einer watteartigen Schmeedecke. Stefan und ich können uns hier oben kaum auf den Beinen halten. Ein paar Minuten kämpfen wir gegen den Andenwind und beobachten den peitschenden Schnee und die anderen Wanderer, die als einzige Farbtupfer in dieser Welt aus Eis, Schnee und Fels herausstechen.
Beim Abstieg lasse ich mir Zeit, mein Blick schweift über das Tal und ich sauge alles in mich auf: den kalten Wind, die Weite der Landschaft, das Gefühl, etwas geschafft zu haben. Ich spüre meine müden Muskeln und Sehnen, die Wangen glühen rötlich von der Kälte. Meine Haare flattern zerstrubbelt im Wind. Und ich kann nur sagen:
Genauso muss ein Tag in Patagonien sein.